Landgasthaus „Zur Pultern“

Landgasthaus „Zur Pultern“

Wo einst nichts als „Stickgras“ wuchs, stand das ehemalige Landgasthaus „Zur Pultern“. Es ist aus einem Bauernhof hervorgegangen, welches erstmalig 1645 im Weinkaufregister von Hasbergen erwähnt wurde. Wann es genau gebaut wurde, ist unklar.

„Den 09. August 1645 hat Segebade Segelken zum Iprump wegen Johan Schmid´s Köterey 2 ½ Reichstaler Weinkauf bezahlt.“

Johann Schmid war also Besitzer einer Köterstelle. Warum aber hat Segebade Segelken bezahlt? Er musste zahlen, weil er 1645 Alke Schmid, Johanns Witwe, geheiratet hatte. Johann verstarb lt. Hasberger Kirchenbuch im Jahre 1644. 1647 ist im Bauernregister Segebade Segelken als Köter verzeichnet. 1679 ging aus Unterlagen hervor, dass er ein Haus, eine Scheune, ein Pferd, zwei Kühe, ein Stück Jungvieh und sechs Schafe hatte. Weitere Eigentümer dieser Köterei waren im Laufe der Jahre (aus dem Erdbuch (Grundbuch) und aus dem Verzeichnis der Brandkasse entnommen):
1693 Ahlert Schmidt, Jacob Meyer, 1809 Hinrich Meyer (I), 1815 Johann Meyer, 1856 Hinrich Meyer (II).
Im Verzeichnis der Landesbrandkasse wurde das vor 1764 erbaute Wohnhaus mit 300 Reichstaler bewertet. Ob es sich noch um das ursprünglich erwähnte Haus von 1645 handelte, ist nicht bekannt.
Neben der landwirtschaftlichen Nutzung des Hofes wurde es auch schon lange als Gastwirtschaft betrieben. An der Pultern-Brücke an der damaligen Syker Chaussee errichtete man einen Zollbaum (die Pultern fließt zwischen ehemals Freuer und dem jetzigen „Erdbeerhof“). Der Besitzer pachtete die Wegegelderhebung und erhielt eine Schankerlaubnis. In einem Verzeichnis von 1851 über Wirtshäuser, wird auch Johann Meyer zum Stickgrase genannt. Die Gastwirtschaft ist also schon vor 1851 entstanden. 1827 bekamen Johann und Anna Adelheid Hühnken Sohn Hinrich (II). Hinrich (II) heiratete 1855 Sophie Cathrine Poppe. 1856 wurde Hinrich Meyer (II) als Erbe eingetragen. Im selben Jahr wurde Hinrichs Tochter Anna Adelina geboren.

Am 11.07.1872 wurde das alte Wohnhaus abgebrochen. Dieses Haus hat nicht an der Stelle gestanden, wo sich zuletzt das uns bekannte Gaststättengebäude befand. Laut einer Flurkarte von 1844 stand das alte Haus abseits der jetzigen Syker Straße. Nach Abbruch des alten Hauses 1872 wurde im selben Jahr ein neues Wohnhaus gebaut. Dieses Mal direkt längsseits zur Straße. Die Brandkasse schätze den Wert auf 4500 Taler (13500 Mark).
Die uns bekannte „Scheune“ ist um 1822 aus zwei alten Scheunen, die schon vor 1764 vorhanden waren, zu einem Heuerhaus errichtet worden. Bei dessen Um- und Wiederaufbau im Jahre 1872 hat man dort einen Türbalken eingebaut, welcher eine Inschrift trug (siehe Foto). Dieser Balken war ursprünglich am 1872 abgerissenen Wohnhaus verbaut.

AN GOTTES SEGEN ALLES GELEGEN
HINRICH MEIER – ADELHEIT MEIER
M CORDT MAHLSTEDT
ANNO 1796 DEN 25 MAIUS

(Daher haben wir bis zu letzt immer gedacht, dass die Scheune von Freuer aus dem Jahre 1796 stammt.)

Hinrich (II) Meyer vergrößerte seinen Grundbesitz durch Zukauf eines Grundstücks vom Köter Gerhard Diedrich Reiners am 02.10.1876. Dieses wurde beim Amt Delmenhorst eingetragen. Außerdem heiratete im selben Jahr Hinrichs Tochter Anna Adelina im Alter von 20 Jahren  den 10 Jahre älteren Hermann Schierenbeck. Dieser kam vom Hof Groß Emshoop. Im April 1877 wurde Sohn Heinrich Schierenbeck geboren und im Mai am Sarge seiner Mutter Anna Adelina getauft. 1882 starb Heinrichs Opa Hinrich (II) Meyer. Da dieser keine männlichen Erben hatte, erbte der 5-Jährige Enkel Heinrich Schierenbeck die Köterstelle. So kam der Name Schierenbeck ins Spiel. Ich gehe mal stark davon aus, dass Vater Hermann die Geschäfte regelte, bis Heinrich die Köterei übernehmen konnte. 1887 heiratete Vater Hermann ein zweites Mal und bekam zusammen mit Catherine Louise Flügger 1888 Sohn Ludwig Schierenbeck, Heinrichs Halbbruder. Catherine starb 1890 auch schon früh mit 38 Jahren nach nur 3 Jahren Ehe mit Hermann.

Heinrich Schierenbeck heiratete 1901 in Hasbergen Metta Sophie Henriette Heinken. Tochter Henny wurde geboren (genaue Daten fehlen hier noch). Leider starb Heinrich selbst schon 1902 im Alter von nur 25 Jahren. Viel hatte er von seinem Erbteil nicht gehabt.

Die Konzession für den Ausschank lief mittlerweile auf Schierenbecks Bauernhof mit Fuhrgespann. Die Gaststätten-Gebäuden und Anlagen wurden laufend verbessert, sodass die Brandkasse am 05.07.1909 den 1902 erbauten Tanzsaal mit 4200 Mark bewertete. Vater Hermann starb 1914, sodass jetzt wohl Mette, Tochter Henny und Schwager Ludwig(???) die Geschäfte regelten. Belege habe ich dafür keine.
Am 06.07.1928 wurde das Haus mit Anbau, Zwischenbau und Tanzsaal mit 27720 Mark bewertet.
Die landwirtschaftliche Nutzung der einstigen Köterei wurde seit Längerem aufgegeben, mehrere Grundstücke zwischenzeitlich verkauft. Schierenbecks Gasthaus hat sich im Laufe des Jahrzehnts zu einem beliebten Ausflugslokal am Rand der Stadt entwickelt.
Henny Schierenbeck heiratete Bernhard Friedrich Freuer (*1901 +1966). So kam der uns bekannte Name Freuer ins Spiel.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde weiter um- und angebaut. Die Gaststube wurde renoviert, Fremdenzimmer eingerichtet, ein Küchentrakt angebaut, eine Steinterrasse angelegt und eine Kegelbahn eingerichtet. Diese Kegelbahn wurde von den Sportkeglern als eine der besten im gesamten Bundesgebiet bewertet.

1962 entstand auf dem Freuer-Grundstück durch den Bau der B75 ein Baggersee. Sehr zur Freude von Familie Freuer. Diese legte dort einen Biergarten an. Sehr zur Freude der Kohlfahrer. 
1966 starb Bernhard Freuer. Seit 1968 firmiert das Gasthaus unter „Landgasthaus Zur Pultern“, Inh. Gerda Freuer (HRA 140097).
1983 wurde der neue Luftgewehr-Stand für die Mitglieder des Schützenvereins Zentrum in Betrieb genommen.

Am 22.11.1986 brach um ca. 18.15 Uhr ein Feuer im Dachstuhl des reetgedeckten Haupthauses aus. Brandursache waren hier wohl die elektrischen Leitungen. Beim Eintreffen der Feuerwehr stand das Reet bereits komplett in Flammen. Die Flammen konnte man bereits vom Hasporter Damm aus sehen. Dank des schnellen Einsatzes konnte der teilweise reetgedeckte Anbau erhalten bleiben. Das Obergeschoss des Haupthauses, in dem die Inhaberin wohnte, konnte nicht gerettet werden. Ihr Hab und Gut ging in Flammen auf. Zahlreiche Helfer, Mitarbeiter, Nachbarn und Bekannte kamen zur Hilfe und trugen noch zu gebrauchendes Inventar ins Freie. 
Nach siebenmonatiger Renovierungsarbeit wurde das „neue“ Landgasthaus „Zur Pultern“ unter der Regie von Gerda, Axel und Heiko Freuer wieder eröffnet. Anstelle von Reet wurde das Dach nun mit Pfannen eingedeckt.

Es folgten Zeiten, an die wir uns alle gerne zurückerinnern.
Hochzeiten (grün, silber, gold…), Taufen, Verlobungen, Konfirmationen, Silvesterfeten, Freiluftfeten (z. B. mit der Five-Set-Band), Vatertagstouren, Kohlfahren, Mottofeten…wir haben gerne dort gefeiert.

Leider kam dann der Tag X, die Nacht zum 10.06.2004 wird uns wohl immer im Gedächtnis bleiben. Die Feuerwehr wurde kurz nach Mitternacht alarmiert. Als die Feuerwehr am Einsatzort eintraf, war klar, das Haupthaus des Landgasthauses „Zur Pultern“ ist nicht mehr zu retten. Es stand in Vollbrand. Stunden später war klar, dass auch die gerade frisch mit Reet gedeckte Scheune nicht zu retten war. Zehn Stunden Kampf gegen die Flammen. 24 Fahrzeuge mit ca. 80 Einsatzkräften waren im Einsatz. Sogar die DLW-Werksfeuerwehr war vor Ort. Doch es half alles nichts. Übrig blieb eine Ruine.
Diese Ruine stand noch weitere 10 Jahre an Ort und Stelle, bis die Stadt diese 2013 für 193000 € kaufte und sie im Jahre 2014 abreißen ließ für weitere 150000€ + Deponiegebühren.

Brandursache: Brandstiftung

https://www.weser-kurier.de/region/delmenhorster-kurier_artikel,-Zur-Pultern-Zivilprozess-beendet-_arid,50253.html

Wie kann man das einer Mutter antun, die knapp 20 Jahre zuvor schon einmal ihr Hab und Gut verlor???

 

Oben genannte Daten und Namen sind alle ohne Gewähr. Ich hoffe, ich habe die eine oder andere Lücke mit Daten der Tauf-Heirats- und Sterbeurkunden von Ancestry und dem Hasberger Buch richtig verknüpft. Wenn nicht, möge man es mir verzeihen und berichtigen. Dies ist eine rein private Recherche, weil mir eine alte Postkarte ein Rätsel aufgab, das ich mit Hilfe von Herrn Herbert Behrens und den anderen Hilfsmittel lösen konnte.

Zum Schluss noch ein Video von NonstopNews aus der Nacht im Jahre 2004, welches ich euch nicht enthalten möchte:
https://www.youtube.com/watch?v=mjiiM8lqLYE

Quellen:
Hasbergen – Ein Jahrtausend Gemeindegeschichte
Aufzeichnungen von Herbert Behrens
Flurkarte von 1844
Ancestry:
Heiratsurkunde       Hinrich (II) Meyer + Sophie Poppe 1855

Geburtsurkunde      Anna Adelina Meyer 1856

Heiratsurkunde       Anna Adelina Meyer + Hermann Schierenbeck 1876

Geburtsurkunde      Heinrich Schierenbeck 1877

Sterbeurkunde        Anna Adelina Schierenbeck, geb. Meyer 1877

Sterbeurkunde        Hinrich (II) Meyer 1882

Heiratsurkunde       Catharine Louise Flügger + Hermann Schierenbeck 1887

Sterbeurkunde        Sophie Meyer, geb. Poppe 1897

Heiratsurkunde       Mette Sophie Henriette Heinken + Heinrich Schierenbeck 1901

Sterbeurkunde        Heinrich Schierenbeck 1902

Sterbeurkunde        Mette Schierenbeck, geb. Heinken 1945

Geburtsurkunde      Bernhard Friedrich Freuer 1901

Namen Johann Meyer + Anna Adelheid Hühnken -> Sterbeurkunde Sohn Heinrich 1882
Namen Hinrich (I) + Adelheit -> Inschrift Türbalken + „Hasbergen Buch“ + Herbert Behrens

Delmenhorster Kurier vom 24.11.186 +11.06.2004 + 13.07.2006

1909

1919

1939

1961

1990

2019

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