Juwelier Wieting

Juwelier „Wieting am Markt“

Mit einem kleinen Werkstattbetrieb machte sich Uhrmacher Wilhelm Ludwig Christian Wieting am 17.10.1862 im Alter von 28 Jahren an der Langen Straße selbstständig. Zuerst gegenüber dem Verlagshaus Rieck/Delmenhorster Kreisblatt, 1870 konnte er dann das neu erbaute Geschäftshaus am Markt beziehen. Hier hatte er mehr Platz und konnte neben seinen Uhren auch Gold- und Silberwaren anbieten. Er kontrollierte zu der Zeit alle öffentlichen Uhren in der Stadt und im Umland. In regelmäßigen Zeitabständen fuhr er durch Delmenhorst und in die benachbarten Gemeinden bis nach Harpstedt. Damals mussten alle Uhren noch regelmäßig aufgezogen werden.
Zu  dieser Zeit gab es am Markt drei mit dem Namen Wieting: Der Wirt des Fitgerhauses hieß einfach Wieting, den Inhaber der Kohlenhandlung am Markt (heute steht dort die Markthalle) nannte man „Käpten Wieting“, weil er Kapitän auf einem Handelsschiff gewesen war und Uhrmacher Wilhelm Wieting nannte man kurz „Ping-Ping-Wieting“. Mittags um 12 Uhr nahm er gerne die Delmenhorster Kinder mit in seinen Laden, damit sie das gleichzeitige Schlagen aller seiner Uhren bestaunen konnte. Ping, ping, ping, ping…Die Kinderaugen hätte ich zu diesen Zeitpunkt gerne mal gesehen. 🙂 
Am 30.05.1864 heiratete Wilhelm die aus Leer stammende Johanna Bonk. Zehn Jahre später, am 06.12.1872, wurde Sohn Julius Theodor geboren. 
1900 übernahm im Alter von 28 Jahren Sohn Julius die Leitung des Betriebes. Vater Wilhelm starb 1910 im Alter von 76 Jahren. Nach dem Ersten Weltkrieg heiratete Julius seine Frau Clara, die er in Hameln kennenlernte. Zusammen mit seiner Frau führte er das Geschäft weiter und vergrößerte es mehrmals. 1925 baute er über der Delme einen Anbau mit zwei weiteren Schaufenstern und Verkaufsräumen an das Haupthaus dran. 1927 starb Julius selbst im Alter von nur 55 Jahren. Seine Frau Clara musste nun das Geschäft alleine führen, ihre Ehe mit Julius blieb kinderlos. 1932 heiratete Clara den Kaufmann Eugen Stadtmüller, der als Vertreter einer Kartonagenfabrik regelmäßig zu den Wietings kam. Dieser stieg dann mit ins Geschäft ein und so kam es dann zum Namenswechsel der Inhaberfamilie.
Im Zweiten Weltkrieg am 03.07.1942 wurde das Geschäft bei einem Fliegerangriff von britischen Brandbomben getroffen. Es brannte alles nieder bis auf das Erdgeschoss. Von 1942 bis 1947 war das Geschäft geschlossen. Der Betrieb lief danach im reparierten Hause weiter. 
1951 starb Claras zweiter Ehemann und sie musste die Firma wieder alleine führen. Nur vier Jahre später starb sie selbst und ihre beiden Söhne Karlheinz und Wolfgang übernahmen in jungen Jahren von 22 und 20 das elterliche Geschäft. 

1960 stiegt Karlheinz aus dem Familienbetrieb aus und machte sich in Mannheim mit einem hochwertigen Juweliergeschäft selbstständig. Wolfgang führte nun das Geschäft alleine weiter und bestand noch im selben Jahr die Meisterprüfung im Zeitmesstechniker-Handwerk.
1961 heiratete Wolfgang Stadtmüller seine Frau Anke, geb. Landwehr. Sohn Ingo kam 1962 auf die Welt. 1965 wird Tochter Martina geboren. 

Mit dem Sturm im November 1972 und einem spektakulären Einbruch im Dezember, bei dem der gesamte Gold- und Brillantschmuck entwendet wurde, begann für die Familie Stadtmüller eine schwere Zeit. Die neue Ware musste schnell zum bevorstehenden Weihnachtsgeschäft beschafft werden. Die Versicherung hatte wegen unzureichender Sicherheitseinrichtung nach dem Einbruch gekündigt. Es musste ein Neubau errichtet werden. Der Umzug in ein Ausweichquartier vollzog sich umgehen nach dem Weihnachtsgeschäft und einem Räumungsverkauf. Am 10.02.1973 war von dem alten Haus nichts mehr übrig. Der Neubau ging schnell voran. Schon am 12.11.1972 konnte das Geschäft eröffnet werden. Es hatte nun eine Verkaufsfläche von 100 m². 1980 baute man das 1. Obergeschoss für die Großuhren- und Besteck-Abteilung um. 1987 wurde pünktlich zur 125 Jahr-Feier das wunderschöne Glockenspiel an der Fassade installiert. Sohn Ingo stieg 1989 mit 27 Jahren als Goldschmiedemeister mit in den Betrieb ein. 1995 wurde die Ladeneinrichtung nochmals erneuert und die Schaufensterfront mit schönem Granit ausgestattet. Nachdem die Eltern Anke und Wolfgang 1999 in den Ruhestand gingen, übernahm Ingo Stadtmüller ganz die Geschäftsleitung.
2020 endete die Ära von Juwelier Wieting. Nach 157 Jahren schließt eins der ältesten Geschäfte in Delmenhorst seine Türen. Das berühmte Glockenspiel wird uns aber weiterhin 5x am Tag erfreuen (11, 12, 16, 17 und 18 Uhr). Dafür will Ingo Stadtmüller persönlich sorgen.  

Werbung aus den 1920er-Jahren. Vorlage: Wolfgang Stadtmüller

Zeitstrahl 

(zur Verfügung gestellt von Ingo Stadtmüller)

1862
Wilhelm Wieting gründet am 17. Oktober sein Juweliergeschäft in der Langen Straße in Delmenhorst. Zum Sortiment gehören neben Wand- und Taschenuhren auch Brillen und andere optische Artikel.

1910
Nach dem Tode Wilhelms führt sein Sohn Julius Wieting, ebenfalls Uhrmacher, das Geschäft weiter. Er führt das Geschäft zusammen mit seiner Frau Clara, geb. Steding, bis zu seinem Tode im Jahre 1927.

1932
Clara heiratet wieder, den Kaufmann Eugen Stadtmüller, den sie als Repräsentanten eines Kartonagen-Lieferanten kennengelernt hatte. Hier wird der Namenswechsel der Inhaberfamilie vollzogen. Aus dieser Ehe gingen die Söhne Karlheinz (1933) und Wolfgang (1935) hervor.

1942
Britische Brandbomben treffen das Geschäftshaus am Markt, das bis auf das Erdgeschoß niederbrennt und zerstört wird.

1951
Eugen verstirbt, und seine Frau Clara leitet das Geschäft alleine weiter.

1955
Nach dem Tode Claras sind die Söhne Karlheinz und Wolfgang mit gerade 22 und 20 Jahren gezwungen, das Geschäft am Markt zu übernehmen. Zwischenzeitlich absolvierte Karlheinz eine Goldschmiede-Lehre in der Goldschmiede Völckers in Bremen, und Wolfgang wurde beim Uhrmachermeister  Bock in Hude zum Uhrmacher ausgebildet.

1960
Karlheinz Stadtmüller verlässt Delmenhorst und betreibt bis 2001 als Juwelier ein Geschäft im Süden Deutschlands.

1960
Wolfgang Stadtmüller die Uhrmacher-Meisterprüfung und heiratet 1961 Anke, die Tochter des Fleischermeisters Heinrich Landwehr aus der Bahnhofstraße.

1962
Sohn Ingo wird geboren, und Juwelier WIETING am Markt feiert sein 100-jähriges Bestehen. Anke und Wolfgang führen das Geschäft gemeinsam weiter und bauen es erfolgreich aus.

1965
Tochter Martina kommt zur Welt.

1973
Das hinfällige Geschäftshaus muss nach Sturmschaden und Einbruch einem repräsentativen Neubau weichen. Von nun an geht es mit dem Geschäft steil bergauf. Ein umfangreiches Sortiment an Uhren und Schmuck sowie Geschenkartikeln bietet für jeden Kunden etwas.

1978
Ingo beginnt in Oldenburg eine Ausbildung zum Goldschmied.

1987
Zur 125-Jahr-Feier präsentiert Juwelier WIETING der staunenden Öffentlichkeit das Glockenspiel, das heute 5 Mal am Tag, um 11, 12, 16, 17 und 18 Uhr, bekannte Volkslied-Melodien spielt.

1989
Ingo tritt nach erfolgreicher Ablegung der Goldschmiede-Meisterprüfung vor der Handwerkskammer Düsseldorf in die Firma ein und verstärkt die mittlerweile erschaffene Goldschmiedeabteilung, die sich fortan mit zahlreichen Anfertigungen in handwerklich hervorragender Qualität einen über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Namen macht.

1995
Nach umfangreichen Umbaumaßnahmen präsentiert sich Juwelier WIETING in zeitgemäßem Erscheinungsbild und für die Zukunft gerüstet. Zwischenzeitlich ist Ingo in die Geschäftsführung aufgestiegen.

1999
Nach dem Ausscheiden von Anke und Wolfgang in den Ruhestand übernimmt Ingo vollends die Geschäftsleitung.

2001
Ingo heiratet Birgit, und ein Jahr später kommt Tochter Meike, die fünfte Generation, zur Welt.

Die alten Fotos wurden von Ingo Stadtmüller zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür. 🙂
Die Fotos von 2018 und 2020 sind von mir.
Quelle: Heimatjahrbuch 2013 „Einhundertfünfzig Jahre Wieting am Markt“ von Wolfgang Stadtmüller

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2018

2020